Aus: Berliner Tagesspiegel
Nr. 16333
Montag, den 11. Mai 1998



Vom Krautrock begeistert
Ein Amerikaner untersucht die Geschichte der DDR-Rockmusik


1971 kam Eduard Larkey aus Ohio in die Bundesrepublik um Germanistik und Geschichte zu studieren. Bundeskanzler Willy Brandt erhielt gerade den Friedensnobelpreis für seine Ostpolitik, Erich Honecker löste Walter Ulbricht ab, das Berlin-Abkommen wurde geschlossen. Und im hessischen Marburg, dem Studienort Larkeys, ließ sich deutlich die "Stimme der DDR" vernehmen. Ostdeutsche Schlager gab es auf diesem Radiosender zu hören, aber zunehmend auch Rock- und Popmusik Marke DDR-Eigenbau. Larkey, gerade angereist aus der Heimat des Rock 'n' Roll, erlag schnell der Faszination der östlichen Musik spätestens, als er die ersten Konzerte von DDR-Bands besuchte. Zunächst sah er die Puhdys im Westen, dann reiste er zu Gigs über die Grenze, war einziger Amerikaner unter Krautrock-Begeisterten. Larkey entwickelte sich schnell zum Fan, und auf seiner Musikleidenschaft konnte er eine wissenschaftliche Karriere gründen. 1986 promovierte er an der Humboldt-Universität mit dem Thema: "Zur kulturpolitischen Rezeption von Rockmusik der USA in der DDR". Doch jetzt, nach seiner Professur an der University of Maryland und Lehraufträgen in Innsbruck Salzburg, Linz und Bielefeld, widmet er sich wieder dem Ostrock und den komplizierten Verhältnissen gegenseitiger Abhangigkeit zwischen den Rockmusikern und dem Staatsapparat der DDR
"Rock- und Popmusik in der DDR vor und nach der Wende", unter diesem Titel trug Eduard Larkey im Potsdamer Zentrum für Zeithistorische Forschung vor. Zwei Diskurse macht Larkey aus, die die Pop- und Rockmusik durch die gesamte Zeit des Bestehens der DDR begleiteten: das Sicherheits- und das Wirtschaftsdenken. Der Sicherheitsdiskurs sei von Teilen des Staatsapparates wie den Kulturbehörden getragen worden, sagt Larkey. Dabei sei es darum gegangen, Musik und Texte auf ihre "negativ-dekadente" Wirkung hin einzuordnen. Der wirtschaftliche Diskurs, geführt von Musikern und Politikern, habe die Absicherung einer eigenen DDR-Musikszene zum Ziel gehabt.

Eduard Larkey unterteilt die Entwicklung der ostdeutschen Rockmusik in drei Phase. In der ersten, zu Ulbrichts Zeiten, habe die Staatsmacht die Musik wie auch die anderen Kunstrichtungen nur daran gemessen ob sie nichtkapitalistische Menschen heranbilde. Realsozialistische Texte seien gefordert gewesen. In der zweiten Phase hätten die Behörden nachträglich Strukturen sanktioniert, die sich herausgebildet hatten und versucht, auch im Ausbau von Radiosendungen für Jugendliche mit dem Westen Schritt zu halten. Seit 1987 seien mehr und mehr Bands aus der Subkultur auf den Markt gedrängt, die staatlichen Kontrollen hätten sich nahezu überlebt.

Für Larkey bildete die Musikbranche der DDR einen kapitalistischen Sektor innerhalb des Sozialismus, mit ständig wachsender Autonomie. Die Entwicklung der Wendezeit sei in diesem Bereich antizipiert worden, so Larkey. Die DDR-Führung sei gezwungen gewesen, die Musikszene an der langen Leine zu lassen, damit die Jugend nicht nur Musik aus den westlichen Ländern hörte: "Um DDR-Musik zu etablieren, mußte die Staatsführung Strukturen aufbauen, die sie sofort aus der Hand geben mußte und die schnell ihrer Autorität zuwiderliefen." Dazu zählten das DDR-Plattenlabel Amiga und die Genehmigung von mehr und mehr Konzerten, um die Jugend mit einheimischen Produkten zu befriedigen.

Eduard Larkeys Bild der Zeit nach der deutschen Vereinigung fällt recht düster aus für die ostdeutschen Rock- und Popgruppen. Sie hätten es schwer, ihren Platz auf dem großen, deutschen Markt zu finden. Und sie hätten damit zu kämpfen, daß sie Kritik an Institutionen und der Gesellschaft nicht mehr zwischen Versen und Tönen verstecken müßten. Larkey gewinnt den Eindruck daß die Künstler zunächst ihre in der DDR erworbene Ästhetik über die Wendezeit hinüberretteten und jetzt erst bestrebt sind, neue Texte zu entwickeln. Was aber die spezielle Ästhetik von Rock- und Popmusik der DDR kennzeichnet, kann er schwer sagen. Ein Anhaltspunkt sind für ihn die abstrakten Texte, die sich nach der Ausbürgerung Biermanns etablierten und in denen sich Kritik in Metaphern verbarg. Wie aber wird es mit der vor zwei Jahren entstandenen musikalischen Ostalgie-Welle weitergehen? Beträchtlich abgeebbt ist sie ja schon. Aber in der Kulturbrauerei zumindest rollt die Welle ja als "Ostrock meets Westrock" jeden Freitag weiter. Und schließlich war es vor allem das Gruppenerlebnis auf Konzerten, das die Rockfans der DDR zusammenschweißte. Für Larkey, der das Bestehen der Ostdeutschen auf einer eigenen Identität als positive Kraft für die Zukunft wertet, sind diese Abende ein schönes Gefühl für ein, zwei Stunden. "Aber lange hält man diese Musik doch heute nicht mehr aus."